Topfair Media Daten 2024

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„Man sollte sich nicht von „großen“ Best Practice Beispielen einschüchtern lassen – viele große Würfe sind organisch gewachsen. Nicht das Was, sondern das Wie macht den Unterschied“, so Maxmilian Perez Mengual vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS und Autor der Studie "Wie gelingt ein großer Wurf im Handel".

II. Retail Talk zum Handel der Zukunft

Aktiv am eigenen Geschäftsmodell experimentieren

Vielleicht gibt es in München ja bald ein „Labor“, einen physischen Raum, in dem der mittelständische Handel experimentieren kann. Ein Vorschlag, der beim II. Retail Talk „Der Handel der Zukunft in der Stadt der Zukunft“ im Presse Club am Münchner Marienplatz auf Interesse stieß, zu dem Michaela Pichlbauer, Vorständin der Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel, und Prof. Dr. Silke Weidner, Präsidentin des Wissensnetzwerks Stadt und Handel, rund 70 Gäste aus dem Einzelhandel, der Stadt- und Landesverwaltung, der Immobilienwirtschaft sowie der Wissenschaft willkommen heißen konnten. Denn zunehmende Leerstände und mancherorts sogar eine Verödung des Innenstadtlebens sind überall ein Problem.

Daher hat die Rid Stiftung das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS im Pandemiejahr 2021 damit beauftragt, aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive zu bewerten, was ein echter „großer Wurf“ im Handel ist und woran sich Händler und Händlerinnen orientieren können. Die Studie „Wie gelingt ein großer Wurf im Handel?“ wurde einleitend von Prof. Dr. Frank Danzinger und Maximilian Perez vorgestellt. Das Fraunhofer-Institut IIS hatte über 300 prämierte Best Practices auf ihren Orientierungswert hin untersucht und exemplarische Wege zu einem „großen Wurf“ aufgezeigt. Sechs Trends werden in der Studie vorgestellt. Dabei handelt es sich um Erlebnis-Orientierung, Omnichannel, Self-Checkout, 24-Stunden Öffnungszeiten, digital gestützte Costumer Journey und Nachhaltigkeit. Doch die Studie zeigt auf, warum es den einen „großen Wurf“, an dem sich alle orientieren könnten, nicht gibt. Jedes Einzelhandelskonzept mit seiner individuellen Ausrichtung, seinen unterschiedlichen Warengruppen und seiner spezifischen Kundschaft ist einzeln zu bewerten; Standardlösungen und Technologieeinsatz als Allheilmittel helfen nicht weiter. Überraschend auch das Ergebnis, dass es im Handel keineswegs um Veränderung um jeden Preis geht, sondern vielmehr darum, an ein bestehendes Erfolgskonzept anzuknüpfen und es mit innovativen Mitteln auszubauen.

Aktives Experimentieren und Erlebnis-Orientierung sind zwei Ansätze, die Caspar-Friedrich Brauckmann, Geschäftsführer des traditionsreichen Haushaltswarengeschäftes Kustermann, schon seit Jahren gemäß seinem Motto, „Unser Fachpersonal kümmert sich wie ein Gastgeber um unsere Kunden und Kundinnen“ erfolgreich umsetzt. Sein Nutzungskonzept basiert auf einem breiten Warensortiment, das durch ein integriertes Café, eine hauseigene Kochschule mit moderner Eventküche, eine Bar und Veranstaltungsräumen ergänzt wird, die auch extern vermietet werden. Hinzu kommen Dienstleistungen, die über die primäre Ausrichtung des Hauses hinausgehen. Von der personalisierten Gravur über Schlüsseldienste und Tresormontage bis hin zum ‚Private Shopping‘.

Kustermann sei auch ein klassisches Beispiel für das, was Joachim Stumpf, Geschäftsführer BBE Holding in München, als „vertikalen Nutzungsmix“ von Geschäftsimmobilien bezeichnet. Eine fruchtbare Mischung aus verschiedenen Branchen, die unter einem Dach angesiedelt, aber auf verschiedene Stockwerke verteilt sind. Kaufen, Erleben, Essen und Trinken, die Möglichkeit, in eigens eingerichteten Wohlfühlzonen Kraft zu tanken, Fitnessbereiche, wie es verschiedene Sporthäuser anbieten. Büro und Wohnen in der Innenstadt: das alles seien die Trends der Zeit, führte Stumpf aus und genau hier könne der stationäre Handel gegenüber der Online-Welt punkten. Er hob hervor, dass der fortschreitende Online-Handel deutschlandweit in den letzten Jahren zu einer deutlichen Reduktion der Verkaufsflächen geführt habe. Daher gehe es aus der Perspektive der Immobilieneigentümer um alternative Nutzungen für diese Handelsflächen.

Moderne Mischnutzungskonzepte mit einem Food- oder Non-Food-Handel im EG und im UG, Kultur und Kunst im 1. und 2. OG, Gastronutzung und Urban Farming weiter oben sowie einem Drohnenlandeplatz auf dem Dach scheiterten derzeit noch häufig an zermürbenden Genehmigungsprozessen, die nicht auf diese Mischnutzungen ausgelegt seien, erläuterte Manuel Niederhofer, Bereichsleiter Innovation/Digitalisierung/IT bei der Aachener Grund Vermögen und Geschäftsführer des Tochterunternehmens AC + X, das durch strategische Investitionen die Digitalisierung im Handel vorantreiben möchte.

Cornelius Mager, Leiter der Lokalbaukommission im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München, erklärte man um Flexibilität bemüht sei, warb aber auch um Verständnis für die kollektive Aufgabe des Planungsreferates, den öffentlichen Raum vor der Aneignung durch Einzelne zu schützen und auch für die Aufgabe, das einzigartige Stadtbild Münchens zu erhalten. Vor diesem Hintergrund sei auch die Haltung der Stadt zu verstehen, beispielsweise große, digitale Screens in den Schaufenstern bisher nicht zuzulassen. Die Rolle der Stadt als Partnerin bei der Umsetzung von neuen Ideen finde ihre Grenze bei Einzelinteressen, denn der öffentliche Raum muss als Ganzes im Blick behalten werden und was für einen erlaubt sei, müsse auch allen anderen erlaubt werden.

Einigkeit bestand darin, dass ein gemeinsames Verständnis – über die Entwicklungsbedarfe des Handels, der Stadt und der Immobilien in der Stadt wichtig sei. Denn nur zusammen könne es gelingen, den Handel und die Stadt weiterzuentwickeln und einen „großen Wurf“ für die Zukunft zu realisieren.

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