Analyse
Weniger ist mehr – 10 Beobachtungen von den Möbelmessen
Während der gesamten Messewoche gab das Wetter das Motto vor. VdDK-Präsident und Leicht-Geschäftsführer Stefan Waldenmaier servierte am Montag den Aufschlag für die folgenden Tage und prägte das Bild von der
Während der gesamten Messewoche gab das Wetter das Motto vor. VdDK-Präsident und Leicht-Geschäftsführer Stefan Waldenmaier servierte am Montag den Aufschlag für die folgenden Tage und prägte das Bild von der „Branche, die in der Sonne sitzt“. Das hatte in diesem verrückten Corona-Jahr noch vor einigen Monaten wohl niemand kommen sehen, weshalb das kollektive Aufatmen in den Messezentren deutlich zu spüren war. Doch mit dem aktuellen Erfolg entstehen neue Herausforderungen. Was zwischen Lügde, Diepenau und Gütersloh auf der Agenda stand, hat die „möbel kultur“-Redaktion in zehn Beobachtungen zusammengefasst.
1) Es herrscht Hochkonjunktur: Das Reisen ist erschwert oder fällt ganz aus, Autos sind auch nicht mehr das Statussymbol Nummer eins, sodass sich die Deutschen mit voller Aufmerksamkeit dem Einrichten zuwenden. Wohl nur E-Bikes und Camping-Mobile schneiden ähnlich gut ab. Insofern war der Handel gezwungen, die Lager wieder aufzufüllen und gemeinsam mit der Industrie die Werbedramaturgie für die kommenden Monate zu entwickeln. Die Industrie konnte diesen Bedarf mit marktgängigen Programmen und konsumigen Updates sehr gut decken. Der üblicherweise wichtigste Wettbewerbsfaktor – Preis – wurde von dem Kriterium Verfügbarkeit in den Hintergrund gedrängt. Das galt auch für Nachhaltigkeitsaspekte.
2) Messen funktionieren: Auch wenn der Infektionstrend dagegensprach, auch wenn die Reisemöglichkeiten in Europa stark eingeschränkt waren und auch wenn die Frequenz am Ende niedriger war – die Herbstmessen haben funktioniert und der Aufwand hat sich gerechnet. Möbel muss man live sehen und fühlen, davon überzeugten sich Aussteller und Besucher im Messeverlauf mehr denn je. Digitale Messeangebote unterstützen das Angebot, wenn auch hier das Matchmaking und nicht der Einkaufsprozess im Vordergrund stand: „Als wichtigstes Tool des neuen Portals Küchenherbst.online kristallisierte sich schnell die Visitenkarten-Übergabe heraus, denn darüber lassen sich effizient und direkt echte Leads generieren bzw. Geschäfte anbahnen“, vermeldete beispielsweise Michael Rambach, Trendfairs-Geschäftsführer.
Für die „imm cologne“ sind das Signale, die Mut machen. Wenn sich alle Beteiligten an die Sicherheitsvorkehrungen und Abstandsregeln halten, ist Messe machbar. Auch ein „Caravan Salon“ in Düsseldorf mit 107.000 Besuchern wurde im Nachhinein nicht als Spreader-Event bekannt. Deshalb sollte sich die gesamte Branche sehr gut überlegen, wie sie mit dem Messestandort Köln 2021 umgeht, damit kein nachhaltiger Schaden entsteht. Für die Kölner kam es während der Messewoche dicke. Erst kündigte die Messe Frankfurt an, ihre Konsumgütermessen ins zweite Quartal 2021 zu verschieben und dann verunsicherte eine aus dem Kontext gerissene Aussage von Virologe Christian Drosten, dass die Pandemie jetzt erst richtig losgehe. Dass es keine Option für das Wirtschaftsleben sein kann, ein oder zwei Jahre auf Pause zu stellen, steht auf einem anderen Blatt. Dementsprechend setzten die Kölner nochmal ein Zeichen: „In Köln halten wir selbstverständlich weiterhin an unseren Plänen fest, bald wieder Messen auf unserem Gelände zu veranstalten“, sagte Koelnmesse-Chef Gerald Böse.
3) An den Lieferzeiten liegt‘s: Die Lieferzeiten sind aktuell der entscheidende Faktor. Sie reichen – je nach Produktgruppe – von 14 Tagen bis zu 16 Wochen. Jetzt zeigt sich, wie gut die Lieferketten wirklich funktionieren (oder eben nicht). Deutschland hat als Produktionsstandort nun einen erheblichen Vorteil, wovon junge Player wie Dayco in Porta Westfalica und etablierte Unternehmen wie die Wiemann-Gruppe gleichermaßen profitieren. „Wir sind jetzt in der Lage, jede Kommission innerhalb von sechs Wochen liefern zu können. Und das ,made in Ostwestfalen“, sagt Femira/Loddenkemper-Gesamtvertriebsleiter Jürgen Merkelbach. Auch Mäusbacher nutzt Lieferzeit als USP und bietet zum Beispiel ein Schnelllieferprogramm in nur 12 Arbeitstagen. Sehr gefestigt wirkt auch wieder Röhr-Bush mit General Sales Manager Dirk Strathoff.
Kurzarbeit hat sich für die deutsche Industrie als ein wirkungsmächtiges Instrument erwiesen. Während in Polen viele Betriebe ihren Mitarbeitern sofort gekündigt haben und einige Produzenten heute deshalb noch immer nicht 100 Prozent Leistung bringen, konnten die deutschen Firmen schnell wieder hochfahren.
Wenn sich die Lieferzeiten nun in Summe immer weiter verlängern, gibt es drei Gefahren. a) Werden Konventionalstrafen ein Thema? Für die A-Lieferanten weniger, für die B-Lieferanten wahrscheinlich. b) Ist am Ende der Endkunde der Verlierer, der sich gerade einrichten möchte und nun mit seiner Erwartungshaltung enttäuscht wird? c) Wird es Stornos geben, weil der Handel in den vergangenen Tagen viel mehr Kontingente vergeben hat, als er am Ende braucht? Für Importeure wie MCA ist das fordernd. Zwar können sie sich momentan über hohe Auftragseingänge freuen, müssen nun aber für die nächsten Monate disponieren und das bei einer Vorlaufzeit von 10 bis 18 Wochen in Asien. Da sind Restanten fürs nächste Jahr programmiert.
4) Rohstoffe sind das Nadelöhr: Natürlich will auch die Zulieferindustrie von der Sonderkonjunktur partizipieren, weshalb sich Schäume, Stahl und Spanplatten gerade verteuern. Das Spiel ist nicht ganz neu. Die Industrie spricht im Bereich der Holzwerkstoffe von künstlicher Verknappung, weil die Wälder voll von nutzbarem Holz seien. Die Zulieferer entgegnen, dass die Qualität des Holzes nicht genüge. Ein wenig irritierend ist dabei die Aussage vieler Industrievertreter, dass die Preissteigerungen von unterschiedlichen Anbietern im Holzwerkstoffbereich exakt denselben Prozentsatz betragen. Demnach müssen auch alle Holzwerkstoffhersteller in exakt dem gleichen Maße von dem Holzmangel betroffen sein. Wer am Ende die Zeche zahlt, ob Industrie, Handel oder Endverbraucher, darauf gibt es ganz unterschiedliche Antworten.
In Europa ist die Zuliefer-Thematik aktuell schwerwiegender als in Asien. Für die Suppy Chain ist das knappe Rohstoffangebot Gift: „Die Lieferketten reißen im Moment an allen Ecken“, betont Markus Wiemann. Nicht nur Spanplatten oder Schäume seien davon betroffen, selbst Stoffbezüge für Federkerne seien schwer zu beschaffen.
5) Entschleunigung allerorten: Das Messe-Business verlief entspannter denn je – und die Einkäufer nahmen sich viel Zeit für Gespräche und die Sortimentierung. Schließlich war das Messe-Angebot in diesem Jahr limitierter und der reisetechnische Zeitdruck nicht ganz so groß. Viele bewerten es positiv, dass die Neuheitenschraube mal etwas langsamer gedreht wird. Der Fokus lag weniger auf krachenden Neuheiten als auf Modelloptimierungen. Insbesondere in Bad Salzulen war das Angebot von 300 Ausstellern (inklusive Forte-Messezentrum) breit gefächert und verlockend: Dabei standen Modelle in Eiche mit Weiß oder Eiche mit Graphit im Rampenlicht. Bei den Oberflächen wurde ansonsten mit dem Industrie-Look gespielt, bei dem geschroppte, oder Used-Optiken mit Metall gemixt werden. Landhaus steht bei den Idyll-suchenden Konsumenten wieder ganz hoch im Kurs. Ab und an gab es auch Experimente mit Digitaldruck wie z. B. bei Trendteam. Im konventionellen Bereich ist das Drosseln des Innovationstempos noch greifbarer, wie Musterring-Geschäftsführer Oliver Höner unterschreibt: „Wir erleben gerade eine Entschleunigung des Möbelgeschäfts“. Das nimmt den Druck heraus, auch für die Verkäufer, die sich mit den bewährten Programmen besser auskennen.“ Für Importeure gestaltete sich zudem die Modellentwicklung gerade in Osteuropa in den vergangenen Monaten sehr schwierig. Gereist wurde zumeist mit dem Auto und die Infektionsherde auf dem Balkan, in Russland und der Ukraine sorgten immer wieder für unvorhergesehene Situationen. Und nicht jeder Aspekt der Modellentwicklung lässt sich auf digitalem Wege zu 100 Prozent abbilden.
6) E-Commerce saves business: Einmal mehr hat sich während der Pandemie gezeigt, dass die Unternehmen, die hohe Onlineanteile haben, besser durch die Krise gekommen sind. So auch Germania. Die beiden Geschäftsführer Volkmar Halbe und Christian Pauly betonten, dass es dabei immer weniger auf die Produkte als solches ankommt, sondern vielmehr auf die Prozessexzellenz. Doch auf den Lorbeeren könne man sich keinesfalls ausruhen. „Im nächsten Schritt der Prozessexzellenz im E-Commerce wollen wir uns auf die Durchdringung relevanter ausländischer Märkte konzentrieren“, gibt Christian Pauly einen Ausblick auf die Zukunft. Hierbei geht es vor allem darum, die Logistik in unterschiedlichen Märkten zu beherrschen.
7) Zwiespältiges Einkaufsverhalten: Der Onlinehandel war lückenlos unterwegs, im stationären Handel ließen die konventionellen Kommissionen Gelegenheiten aus. Besonderheiten bildeten die Begros und die Krieger-Gruppe. Die Berliner waren noch am Donnerstag emsig bei der Sortimentsarbeit, als sie aus der Zentrale zurückbeordert wurden – wohl aus Angst vor den steigenden Infektionszahlen. Anders war der Fall der Begros geartet, die Ende Mai eine Pressemitteilung mit dem Inhalt versendet hatten, die Herbstmessen aussetzen zu wollen. Die zwei Argumente lauteten damals, dass neue Ware nicht benötigt werde und das Gesundheitsrisiko zu groß sei. Zumindest der erste Grund hat in der Zwischenzeit seine Geltung verloren, weshalb viele Begros-Mitglieder auch gern die Reise nach Ostwestfalen angetreten hätten. Aber der Fraktionszwang ließ es nicht zu, dass der Verband seine Entscheidung von Ende Mai revidierte. Nun stehen sowohl Krieger als auch die Begros unter Zugzwang. Aus der Ferne versuchten die Oberhausener mit Video-Präsentationen und -Chats noch mitzumischen. Aber nicht alle Lieferanten konnten das technisch leisten. Zudem sind wohl die ersten Termine in Ostwestfalen in den kommenden Wochen eingebucht, wenn genug Gras über die Sache gewachsen ist. Bis zur großen Sortimentsmesse ist noch einiges zu tun.
Sowohl die Begros als auch die Krieger-Gruppe dürfen sich aber die Nachfrage gefallen lassen, wie man die Absage ihrer Einkaufskommissionen aufgrund des Infektionsrisikos den Verkäufern am POS erklärt, die seit Wochen und Monaten die guten Umsätze sicherstellen und tagtäglich im Kundenkontakt sind. Das sieht nach zweierlei Maß aus.
8) Kooperationen demonstrieren Können: Die Hausmessen von Trüggelmann und Werther waren nicht nur wegen der ansprechenden Präsentationen einen Besuch wert, sondern auch, weil dort auf Vernetzung und Kooperation gesetzt wird. Federführend dabei ist Ars-Nova-CEO Peter Thiel, der verstanden hat, dass man gemeinsam stärker agiert als allein. So konnte man bei Trüggelmann neben den eigenen Brands Trüggelmann, Ars Nova und Wehrsdorfer auch die Marken Werther, Aventura Carpets, Bacher, Tommy M, Alno, Oligo und V-Zug in Aktion sehen. Bei Werther wiederum verbanden sich die Marken Dreieck Design, Catellani & Smith, Presotto, Millernerpoort, Ars Nova, Rodam und Rohleder zu kompletten Wohnbildern.
9) Deutsche Basis: Ganz gleich ob Küche oder Wohnen – der deutsche Markt ist momentan der Dreh- und Angelpunkt. Während in der Vor-Corona-Zeit noch alle Anstrengungen darauf lagen, die Exportquoten zu erhöhen, lastet nun das Inlandsgeschäft die Produktionen aus. Allerdings versprechen sich viele Industrieunternehmen zumindest in Kerneuropa ähnliche Nachholeffekte wie in Deutschland, wenn sich die Lage in Benelux, Frankreich & Co. wieder stabilisiert.
10) Zukunft des Möbel-Hochs: Ob die gute Möbelkonjunktur hält, kann wohl niemand vorhersehen. Wichtig ist, dass alle Hebel in Bewegung gesetzt worden sind, um den Konjunkturzyklus zu verlängern. Ob die Verbraucher ihre Wohninvestitionen in diesem Sommer vorgezogen haben und nun ihre Ausgaben limitieren, hängt vom weiteren Pandemie-Verlauf und der damit verbundenen Wirtschafts- und Einkommensentwicklung ab. Genug Impulse sind bis Anfang 2021 gesetzt. Dann müssen wieder neue Ideen her!
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