Interview mit Andre Hempel von Lab of Rent
Der Mietmöbelmarkt ist heftig in Bewegung geraten
Andre Hempel hat sich mit seinem Lab of Rent voll und ganz der Miet-Ökonomie verschrieben. Sein Ansatz: Materialen sind endlich, die Vorstellung für das Einrichten von Wohnraum ändert sich. Ob
Andre Hempel hat sich mit seinem Lab of Rent voll und ganz der Miet-Ökonomie verschrieben. Sein Ansatz: Materialen sind endlich, die Vorstellung für das Einrichten von Wohnraum ändert sich. Ob Möbel, Bekleidung, Elektronik, Kunst – wie ist das eigene Verständnis vom Besitzen? Er unterstützt Handel und Industrie dabei, sich auf diese verändernden Markterfordernisse und Bedingungen der Circular Economy einzustellen und Nachhaltigkeit als Chance, und nicht als Risiko zu begreifen. Gerade im Einrichtungsbereich gibt es bedingt durch die Pandemie viel Dynamik mit Miet-Geschäftsmodellen – insbesondere für die Industrie gibt es ein enormes Vertriebspotenzial, sofern die Bereitschaft besteht, sich mit den besonderen Anforderungen der Miet-Ökonomie ernsthaft auseinanderzusetzen. Wir haben Andre Hempel gebeten, den Markt einzuordnen.
möbel kultur: Herr Hempel, der Mietmöbelmarkt ist mehr denn je in Bewegung. Woran liegt das?
Andre Hempel: Grundsätzlich steigt die Nachfrage stärker noch als in den vergangenen Jahren, denn Corona befeuert die Entwicklung im Mietmöbelmarkt. Die großen Treiber sind die Megatrends Mobilität, New Work und Individualität. Am stärksten sichtbar wird dies im B2B-Bereich: Gerade hier sind Optionen mit mehr Flexibilität für schnellere Anpassungen an sich verändernde wirtschaftliche Situationen und temporäre Nutzungsangebote mehr denn je gefragt. Konkret meine ich damit, dass finanzielle Budgets aktuell knapper werden und eine lange Nutzungsdauer nicht immer gesichert oder gewünscht ist. Viele Unternehmen brauchen Luft zum Atmen. Die Frage ist, warum eine Investition nur über das Kaufen erfolgen sollte, wenn es bereits mit Miet-Alternativen gibt. Ein aktueller Blick beispielsweise in die New-Work-Welten zeigt, dass diese viel dynamischer geworden sind und neue Aspekte schneller adaptieren als vorher.
möbel kultur: Welche Anbieter gibt es gegenwärtig auf dem Markt?
Andre Hempel: Im Einrichtungsbereich herrscht gerade eine strake Dynamik. Einige Player haben den Vermietmarkt wieder verlassen, etablierte Anbieter justieren nach, es finden Fusionen statt und neue Marktteilnehmer mit frischen Konzepten kommen hinzu.
Hinsichtlich der Zielkunden für die Nutzung von Vermietangeboten beobachten wir aktuell eine B2B-Ausrichtung in drei Ausprägungen: Ein Schwerpunkt liegt traditionell auf dem Event – und Veranstaltungssektor, der verständlicherweise gegenwärtig extrem unter Druck steht. Das stellt Anbieter wie z.B. PartyRent, Event4Rent und Arena Mietmöbel vor ungewohnten Herausforderungen.
Stark wachsendes Potenzial bringt die bereits erwähnte Entwicklung im Bereich der neuen Arbeitswelten mit sich. Lendis und Alvero sind gestandene Beispiele mit ganzheitlichen Mietangeboten für Büroausstattung bis hin zur IT-Anbindung. Vitra hat 2020 ein Projekt für Büromöbel für Businesskunden gelauncht.
Der Wohnungsimmobilienmarkt gewinnt vor allem in den Großstädten zunehmend an Bedeutung für Vermietangebote. Hier ist Lyght Living, die im vergangenen Jahr von FLC Furniture übernommen worden sind, als etablierter Anbieter und Interily als Newcomer gut positioniert.
möbel kultur: Was waren die Gründe dafür, dass Otto den Mietmöbel-Piloten OttoNow eingestellt hat?
Andre Hempel: Der Schwerpunkt von OttoNow als internes Start-up von Otto lag von Anfang an stark auf Lifestyle-Produkten wie Smart Home, Multimedia und Sportgeräten. Möbel waren nur kurzzeitig im 1. Halbjahr 2020 im Portfolio. Meine persönliche Einschätzung zur Einstellung des Angebots bezieht sich nicht nur auf Otto, sondern ebenso auf die Aktivitäten von Ikea in diesem Bereich. Ich denke, es geht um den grundsätzlich unterschiedlichen Vertriebsansatz zwischen Verkaufen und Vermieten. Der Fokus bei Sales liegt auf den Produkten, bei Rental wird das Produkt zur Dienstleistung – Product as a Service. Dies ist der differenzierte Ausgangspunkt bei der Produktauswahl und vor allem bei der Ausrichtung auf die Zielkunden. Copy & Paste der bekannten Vorgehensweise funktioniert nicht. Dies kann auch die Erkenntnis bei Otto und Ikea gewesen sein. Sicher spielt auch der Fokus auf das Core Business eine Rolle. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr gespannt, wie sich das Vitra-Projekt entwickelt.
möbel kultur: Wird das Thema generell eher von der Industrie oder vom Handel forciert?
Andre Hempel: Treiber sind ganz klar Hersteller oder Retailer mit eigenen Produktionsstrukturen. Der klassische Handel nimmt an der Entwicklung aktuell nicht teil. Mit Blick auf die „historische“ Zahlenbetrachtung bei einer Kalkulation des Business Case Rental ist das teilweise nachvollziehbar, denn schnell fressen Zusatzkosten für Logistik und Re-Manufacturing die Handelsspanne auf. Das ist aber nur die oberflächliche Betrachtung: Für den Handel stellt ein Rental-Angebot eine exklusive Chance für neue Customer Journeys dar. Eine Kundenbindung, die durch den reinen Produktverkauf nie erreicht werden kann.
Digitalisierung ist ein weiteres Thema. Hier gelingt der Industrie, vor allem im KMU-Bereich, die Integration von Tools und Skills schneller als dem Handel. Eigene Onlineshops als Ergänzung zu Showrooms oder dem POS des stationären Handelsflächen nehmen zu. Multichannel-Marketing ist grundsätzlich notwendig und für den erfolgreichen Aufbau von Kundennähe bei „Product as a Service“ ein Must-have.
möbel kultur: In welche Unter-Kategorien lässt sich das B2B-Geschäft für Mietmöbel einordnen?
Andre Hempel: Ich hatte eingangs bereits über die aktuell drei großen Kundenbereiche im B2B gesprochen. Die Einsatzmöglichkeiten bei Events und Veranstaltungen sind vielfältig – von Hochzeitsfeiern, Firmenevents, Konzerten, Ausstellungen bis hin zu Messen und Kongressen.
Im New Work ist das Spektrum durch die gegenwärtige Situation breiter und dynamischer geworden. Remote Work erfordet ganz andere Nutzungsmöglichkeiten als in der traditionellen Form. Die Arbeitswelten reichen heute vom Firmenbüro über Co-Working bis ins Homeoffice. Die klassischen Offices wandeln sich. Die Unternehmen müssen sich so aufstellen, dass diese Möglichkeiten wieder interessant für die Nutzer werden, weshalb auch der Campus-Ansatz stark im Kommen ist. Die Neustrukturierung der Flächen verbunden mit entsprechenden Investitionen erfordern neue Lösungen. Co-Working-Spaces müssen sich nicht neu erfinden, aber noch mehr den Spagat zwischen dem individuellen Arbeiten und dem kommunikativen Austausch schaffen. Die Entwicklung des „Hoffice“ ist bekannt: Laut einer Studie über „Neues Arbeiten in Deutschland“ von „Schöner Wohnen“ und „Stern“ aus dem Herbst 2020 ist die Hälfte der Arbeitnehmer bereit, bis zu 500 Euro in das eigene Homeoffice selbst zu investieren. Hier liegt auch die Schnittmenge zu den B2C-Kunden.
Home Staging ist die natürliche Heimat des Mietens. Viele Immobilienunternehmen haben erkannt, dass sich Häuser und Wohnungen in einer möblierten „Ansicht“ wertsteigernd verkaufen oder vermieten lassen. Aber es geht noch weit über den Home-Staging-Ansatz hinaus: Temporäre Bedarfe zum Wohnen (Mobilität) und die Individualität der Endkunden zwingen Anbieter im B2B-Bereich zum Weiterdenken: Möblierte Wohnungen, Micro-Apartments und Co-Livings sind weiter im Kommen, die Nachfrage steigt ständig.
Zusätzliches Potenzial liegt bedingt durch die aktuelle Situation in Umnutzungskonzepten für Hotels und dem Wettbewerbsdruck u.a. im Bereich von Ferienwohnungen.
möbel kultur: Welche Warengruppen eignen sich besonders gut für den Vertriebsweg Rental – „Product as a Service“?
Andre Hempel: Zum Großteil ergibt sich die Antwort aus den bereits genannten Zielkunden-Segmenten. Das heißt, dass im Grunde genommen die Warengruppen keine primäre Rolle spielen. Und machen wir uns nichts vor – die Kunden, egal ob B2B oder B2C, kommen mit der Erwartungshaltung aus der „Sales“-Welt. Aus meiner Sicht ist es viel wichtiger, seine Produkte auf die Anforderungen eine Rental-Nutzung zu prüfen und Komponenten für Anpassungen zu finden (PaaS). Deshalb ist es auch der bessere Weg am Anfang mit kleinerem Portfolio zu starten, skalieren kann man dann immer noch. Wenn dies viele Anbieter umsetzen, entsteht ein qualitativ hochwertiges und breites Angebotssortiment. Hier kann ein Start mit Vermietmodellen in der Erweiterung zu den bestehenden Vertriebskanälen ein sinnvoller Ansatz sein – als hybrider Business Case. Der Hersteller kennt seine Produkte doch am besten.
möbel kultur: Sind besondere Anforderungen an ein Mietmöbel gestellt bzw. was muss ein Produzent beachten?
Andre Hempel: Vier Faktoren sind ausschlaggebend für den Erfolg, unabhängig ob als reines Rental-Geschäftsmodell oder als hybrider Ansatz auf Basis von Verkaufen und Vermieten: die Herstellung, die Nachhaltigkeit, die Rentabilität und das ganzheitliche Verständnis für „Product as a Service“. Dem sollte eine Analyse der bestehenden Kunden (wenn vorhanden) und der neuen Zielkunden vorausgehen – inklusive der Beschreibung der Customer Journeys. Außerdem ist eine Marketing- und Digitalstrategie zur gezielten Kundenansprache für Rental unter Einbeziehung von Kundenbindungsprogrammen wie Subscription grundlegend. Die Aufstellung der Organisation mit Blick auf die eigene Kernkompetenz und Integration von Komponentenlösungen. Wenn diese Punkte passen, dann kann ein Vermietmodell ein richtiger Schritt sein. Ein Schritt zu mehr Stabilität, mehr Kundennähe – mehr Zukunft
möbel kultur: Welche Marktentwicklung für Mietmöbel prognostizieren Sie?
Andre Hempel: Ich bin davon überzeugt, dass die Rental Economy den Erfordernissen unserer Zeit, neben dem Thema von mehr gelebter Nachhaltigkeit, vor allem aus wirtschaftlicher Sicht durch Erfüllung der Kundenbedürfnisse nach Flexibilität und Individualität entspricht. Grundsätzlich geht es dabei auch in der Möbelbranche mit Mietangeboten um Ergänzung der Nutzungsmöglichkeiten für die Kunden und nicht um die Verdrängung des Kaufens. Dies ergibt sich allein schon durch die Materialeignung und Nutzungsdauer der Produkte. Aber genau solche Modelle bieten die Chance für Hersteller und Händler, zusätzliche Standbeine im Vertrieb und Dienstleistungsbereich (z.B. für Re-Manufacturing) aufzubauen. Und ja, in Teilen unseres privaten und beruflichen Alltags werden Mietprodukte zukünftig auch dominieren. Vielleicht wird New Work in manchen Bereichen ein solcher werden. Für mich ist das absolut vorstellbar.
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